Mittwoch, 28. Mai 2025

„Orthodoxie im Äußeren – Leerstelle im Innern? Über Ästhetik, Inszenierung und das Ethos Jesu“

Man wird den Eindruck nicht los, dass sich kirchliche Diskurse – vor allem in bestimmten Kreisen – allzu stark um Fragen der liturgischen Ästhetik und äußerlichen Identitätsmerkmale drehen. Es scheint beinahe ein seltsames Paradox: Während die Bindekraft des Christentums in säkularen Gesellschaften kontinuierlich abnimmt, intensiviert sich innerhalb kirchlicher Milieus die Beschäftigung mit symbolischer Inszenierung, mit sichtbarer „Orthodoxie“ – als ginge es darum, über das Äußere das Verlorene zu retten.

So geraten Nebensächlichkeiten ins Zentrum: das Pektorale des Papstes – welche Reliquien es enthält; der Maßschneider seines Gewandes – dessen Lebensstil dann  plötzlich mit Achselzucken registriert wird (ein unvrermuteter Franziskuseffekt posthum?- schön wär's!); die Farbe der Stola, das Tragen der Mozetta, der mögliche Rückgriff auf den alten Ritus, gar die roten Schuhe – deren „Rückkehr“ herbeigeredet wird. Man sucht nach Zeichen, als sprächen sie für sich – als sei katholische Identität eine Frage der Stofflichkeit und Gestik.

Diese Fixierung ist nicht nur historisch kurzsichtig – sie verkennt auch die theologische Struktur des römischen Ritus selbst. Denn dieser ist, entgegen mancher populärer Vorstellungen, kein ästhetisches Überwältigungskonzept, sondern in seiner Ursprungsform von einer bemerkenswerten Nüchternheit, ja Kargheit geprägt. Die opulente Formensprache, die später hinzutrat – insbesondere unter karolingischem und späterem barocken Einfluss – war nie der Kern, sondern Ausdruck eines bestimmten historischen Selbstverständnisses. Dass heute ausgerechnet die traditionsverbundensten Stimmen jene spätenPrägung zum „ursprünglich Katholischen“ verklären, ist Ausdruck einer tiefgreifenden Verwechslung von Überformung und Ursprung.

Hinzu kommt: Ästhetik ist im Katholizismus kein Selbstzweck, sondern Symbolträger. Sie will verweisen – nicht sich selbst feiern. Wo aber das Zeichen wichtiger wird als das Bezeichnete, kippt das Symbol in Ideologie. Das Ornament wird zum Dogma, das Accessoire zum Prüfstein der Rechtgläubigkeit. Der äußere Ritus ersetzt den inneren Vollzug.

Gerade hier aber liegt der Bruch mit dem Ethos Jesu. In einer Zeit, da er bewusst außerhalb institutioneller Machtstrukturen wirkte, predigte er nicht liturgische Präzision, sondern das Reich Gottes in seiner radikalen Andersartigkeit: Barmherzigkeit vor Gesetz, Nähe vor Distanz, Demut vor Repräsentation. Die Unversöhnlichkeit, mit der zuweilen über liturgische Details diskutiert wird, steht damit in scharfem Kontrast zu jenem Geist, den die Evangelien bezeugen.

So bleibt die Frage: Was soll verteidigt werden – die Form oder das Feuer? Was nützt ein äußerlich orthodoxer Kult, wenn er innerlich hohl bleibt?

Wer heute, um der Orthodoxie willen, vor allem den Schein zu wahren sucht, der hat die Herausforderung christlicher Existenz einfach gründlich missverstanden. Denn Christsein ist nicht Formbewahrung, sondern Lebensform – eine, die sich stets am Menschgewordenen orientieren muss, nicht am Gewebe seiner Nachfolger.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Der Mai im Zeitraffer: Ein Wechselbad der Gefühle

Der Mai ist wie im Flug vergangen, und er war turbulent, ein wahres Wechselbad von Gefühlen. Zu Beginn war da noch die Trauer um Papst Franz...