Donnerstag, 29. Mai 2025

Solidarität mit Gaza ist im Interesse von ganz Israel

Der Nahost-Konflikt, seit jeher von einer kaum zu durchdringenden Komplexität geprägt, hat mit dem jüngsten Gazakrieg eine neue, erschütternde Dimension erreicht. In dieser zugespitzten Lage ist es unerlässlich, über die reine Parteinahme hinauszublicken und eine differenzierte Perspektive einzunehmen, die sowohl die tiefe Verbundenheit mit Israel als auch die moralische Verantwortung für alle Betroffenen berücksichtigt.

Es ist bekannt, dass das tiefe Mitgefühl von Papst Franziskus für die Menschen im Gazastreifen von einigen Theologen und selbst vom römischen Oberrabbiner Roberto de Segni kritisch beäugt und als problematisch für die theologischen und interreligiösen Beziehungen zum Judentum empfunden wurde. Der Vorwurf der Parteilichkeit in einem derart sensiblen Konflikt ist verständlich, doch er verkennt die universelle Dimension menschlichen Leidens, die über politische und religiöse Gräben hinweg Mitgefühl erfordert.

Unsere ehrliche Verbundenheit und Freundschaft mit Israel – dem Volk, dem Land, mit „Kol Jisrael“, dem vielgestaltigen Judentum weltweit – steht außer Frage. Für Christen ist die Existenz und das Erbe Israels von fundamentaler Bedeutung; es ist Fundament unseres Selbstverständnisses als Christen: Ohne Israel gibt es uns Christen nicht. Diese tiefe spirituelle und historische Nähe ist ein unerschütterliches Fundament. Jeder Form von Antijudaismus, Antisemitismus, jede Idee von Substitutionstheologie oder Judenmission sind verwerflich und richten sich gegen Jesus und das Evangelium.

Doch gerade aus dieser tiefen Verbundenheit erwächst die Notwendigkeit, eine kritische Stimme zu erheben, wenn Handlungen erfolgen, die den eigenen Werten und langfristigen Interessen Israels zuwiderlaufen. Es muss gerade auch im ureigensten Interesse Israels liegen, keinen unmenschlichen, völkerrechtlich verwerflichen Vernichtungskrieg gegen die arabische Zivilbevölkerung zu führen. Ein solches Vorgehen untergräbt nicht nur die moralische Autorität Israels auf der Weltbühne, sondern säht auch den Samen für zukünftige Konflikte und destabilisiert die Region auf unvorhersehbare Weise.

Die Kritik am Vorgehen der aktuellen israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu wird nicht nur international, sondern auch innerhalb Israels immer lauter. Prominente israelische Stimmen, darunter ehemalige Geheimdienstchefs, Oppositionspolitiker wie Yair Lapid, und sogar Familien der Geiseln, haben die Regierung scharf kritisiert. Sie werfen Netanjahu vor, strategische Ziele zugunsten des politischen Überlebens seiner Regierung zu opfern, die Geiseln zu vernachlässigen und keine klare Vision für den "Tag danach" in Gaza zu haben. Viele sehen in der Fortsetzung des Krieges eine Ablenkung von inneren Problemen und eine Manipulation für persönliche politische Zwecke. Es wird argumentiert, dass die Regierung die Katastrophe des 7. Oktober nicht nur nicht verhindern konnte, sondern auch für das Ausbleiben einer klaren Strategie und die Eskalation der humanitären Krise verantwortlich ist.

Es ist im Interesse Israels, das Regime von Netanjahu kritisch zu hinterfragen und zur Rechenschaft zu ziehen – letztlich auch dafür, dass das verdammenswerte Massaker des 7. Oktober überhaupt möglich war. Die Forderung nach einer schonungslosen Aufarbeitung und einer Abkehr von einer Politik, die auf militärische Übermacht statt auf nachhaltige Lösungen setzt, ist keine Schwächung Israels, sondern eine Stärkung seiner langfristigen Sicherheit und moralischen Integrität. Nur ein Israel, das seine Handlungen kritisch reflektiert und sich den Prinzipien des Völkerrechts und der Menschlichkeit verpflichtet fühlt, kann dauerhaft in Frieden und Sicherheit existieren und seine Beziehungen zu allen Völkern auf einer Basis von Respekt und Vertrauen aufbauen.

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