Donnerstag, 29. Mai 2025

Der Mai im Zeitraffer: Ein Wechselbad der Gefühle

Der Mai ist wie im Flug vergangen, und er war turbulent, ein wahres Wechselbad von Gefühlen. Zu Beginn war da noch die Trauer um Papst Franziskus. Und dann die Tage des Vorkonklaves, die ich vom Presseamt des Vatikans aus verfolgte. Neun Tage lang Trauergottesdienste in St. Peter. Parallel dazu herrschte große Ratlosigkeit: Welcher der vielen, zu einem guten Teil völlig unbekannten Kardinäle könnte ihm nachfolgen? Jeden Tag wuchs auch unter den langjährigen Vatikanbeobachtern die Überzeugung, das Konklave würde mindestens drei Tage, wenn nicht sogar länger, dauern. Am Mittwochabend verfolgte ich mit Hunderten von Medienschaffenden den Einzug der Kardinäle in die Sixtinische Kapelle via Livestream und harrte bis zum späten Abend auf dem überfüllten Petersplatz ratlos aus: Der schwarze Rauch ließ auf sich warten…

Für den Donnerstag plante ich, ein wenig auszuspannen. Zu Mittag war ich im Ukrainischen Kolleg am Gianicolo zum Mittagessen eingeladen. Vom Dach des Kollegs hat man einen herrlichen Blick zum Petersdom. Von weitem sah ich zu meinem Erstaunen schon um 12 Uhr den zweiten schwarzen Rauch aufsteigen.

Der Sog des Moments: Als der Petersplatz rief

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, an diesem Abend nicht mehr zum Petersplatz zu gehen. Nach der zermürbenden Wartezeit am Vortag, als der ersehnte schwarze Rauch einfach nicht aufsteigen wollte, hielt sich meine Motivation wirklich in Grenzen. Die allseits zitierten Experten, die den Ausgang des Konklaves frühestens für Freitagabend, wenn nicht sogar Samstag, voraussagten, dämpften meine Hoffnung zusätzlich. Dennoch, als ich bemerkte, wie immer mehr Menschen auf den diesmal geöffneten Petersplatz strömten, ließ ich mich doch mitreißen. Eine Art "auf Nummer sicher"-Gedanke trieb mich an. Wer weiß schon, was kommt? Die Menge wuchs schnell, und ehe ich mich versah, wurde ich in einem unaufhaltsamen Strom immer näher an die Loggia der Petersbasilika gedrängt. Mein Blick war auf den erstaunlich unscheinbaren Schornstein gerichtet. Das alles, biblisch gesprochen, "gegen alle Hoffnung".

Der entscheidende Augenblick: Ein Meer der Freude

Dann, plötzlich die Rufe um mich herum: "È bianca! È bianca!" – weißer Rauch! Ich blickte hinauf, und es war unmissverständlich. Gleichzeitig setzten die Glocken ein, dieses unverkennbare Signal: Wir haben einen Papst! Dieser Augenblick ist schwer zu beschreiben. Das Adrenalin schoss durch meinen Körper. Instinktiv griff ich zum Handy, um diesen historischen Moment zumindest fragmentarisch einzufangen. Gleichzeitig beschlich mich das Gefühl: „Nein, jetzt ist zuerst die Zeit, für den Papst zu beten, wie immer er heißen mag, aber auch für die ganze Kirche.“ Das gelang in dieser emotionalen Ausnahmesituation ehrlicherweise nur leidlich. Die Begeisterung der Menschen um mich herum war schlichtweg überwältigend. Hinter mir sangen Seminaristen das "Regina Caeli", das Halleluja schallte über den Platz. Es war das Volk Gottes, das sich versammelt hatte, um seinen neuen Hirten zu begrüßen.

In diesem Moment entstand eine eigentümliche Dynamik. Fremde sprachen einander an, als wären sie längst Vertraute. Namen wurden ausgetauscht, sogar Handynummern; man fühlte sich in dieser gemeinsamen Erfahrung auf dem Petersplatz wie in einer großen Familie vereint. Eine Ordensfrau aus Korea neben mir brachte es auf den Punkt: "Ist das nicht schön, katholisch zu sein?" Meine prompte Zustimmung kam von Herzen: Ja, tatsächlich es ist einfach schön, katholisch zu sein, Teil dieser weltweiten Gemeinschaft von Menschen, die versuchen, dem jüdischen Zimmermann aus Nazareth, dem Auferstandenen, nachzufolgen, so unvollkommen das sein und bleiben mag.

Die Überraschung des Namens: Eine persönliche Verbindung

Schließlich die Verkündigung des Namens: Robert Francis! Sofort erkannte ich: Kardinal Prevost! Ausgerechnet er, den ich in den vergangenen Tagen in Rom während der Trauergottesdienste für Papst Franziskus immer wieder bemerkt hatte. Und da war diese Erinnerung an ein "Side Event" während der ersten Sitzung der Synode 2023. Er hatte sich ungezwungen zu unserer kleinen Gruppe an den Tisch gesetzt, höflich zugehört und dann nach unserer Außenperspektive gefragt. Seine Aufmerksamkeit, sein Humor, seine unkomplizierte Art im Gespräch – das war mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Der unaufdringliche, aber interessierte Augenkontakt, den er die ganze Zeit hielt. Immer wieder ertappte ich mich in diesen Tagen vor der Wahl beim Gedanken, dass er ein würdiger Nachfolger für Franziskus wäre. Im Pressesaal wurde mir allerdings immer entgegengehalten, dass seine US-amerikanische Herkunft ein schier unüberwindliches Hindernis sei. „Un americano non fa il papa“ – „Ein Amerikaner wird nicht Papst“, so das ungeschriebene Gesetz der oft langjährigen Vatikanexperten.

Meine Einschätzung erhielt erst Auftrieb, als mir unser Emeritus, kurz vor seiner Rückreise nach Wien, bestätigte, dass Prevost auch sein bevorzugter Kandidat sei. Als Papst Leo dann auf der Loggia erschien, empfand ich vor allem Erleichterung und Freude. Seine ersten Worte – "Der Friede des Auferstandenen sei mit euch allen" – berührten mich tief. Neben mir liefen einem älteren Priester die Tränen über die Wangen. Die wiederholte Bezugnahme auf Papst Franziskus und dessen zentrale Anliegen wie Frieden, Gerechtigkeit, Armut und die bedingungslose Liebe Gottes, aber auch die Mahnung zur Nächstenliebe und zum gemeinsamen Weg, untermauert durch das Zitat seines Ordensvaters Augustinus: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof“ – all diese einfachen und klaren Worte fanden unmittelbare Resonanz auf dem Platz. Der spontane Applaus, der Jubel der Menge waren Ausdruck dieses Gleichklangs. In diesem Augenblick repräsentierten diese Hunderttausenden die ganze Bandbreite der katholischen Kirche und gleichzeitig ihre Einheit. Man bekam eine Ahnung davon, dass die Rede vom „Volk Gottes“ und seinem „Glaubenssinn“ keine bloßen theologischen Fachtermini sind.

Ein bleibender Eindruck

Überraschenderweise verlief der Abzug vom Platz trotz der enormen Menschenmenge friedlich und geordnet. Es gab trotz der mühsam engen Schleuse und den vielen Absperrungen keinen Moment der Beklemmung, sondern vielmehr eine spürbare Erleichterung und eine anhaltende Freude über dieses überraschende Ereignis. "Wie schön ist es katholisch zu sein" – Dieser Gedanke begleitete mich den ganzen Abend und erfüllt mich noch heute Morgen. Leo XIV. – an diesen Namen werden wir uns sehr schnell gewöhnen, sosehr wir Franziskus noch in unseren Ohren und Herzen haben. Aber ich hege die Hoffnung, dass das von Franziskus vorbereitete Fundament nun auf noch konkretere Weise weitergetragen wird

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